Die unternehmerische Sorgfaltspflicht bildet die zweite Säule der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Unternehmen stehen in der Verantwortung, die Menschenrechte zu achten. Sie sind wichtige gesellschaftliche Akteure, die mit ihrer Geschäftstätigkeit und ihren Geschäftsbeziehungen lokale Strukturen und das Leben der Menschen beeinflussen. Sie tragen das Risiko, dass sich ihre Aktivitäten – direkt oder indirekt – nachteilig auf Menschenrechte auswirken. Dies liegt unter anderem an der zunehmenden Verzahnung ökonomischer Aktivitäten weltweit und daran, dass die Lieferketten in den letzten Jahrzehnten länger und komplexer geworden sind.
Dieses Risiko zu kennen, ist Bestandteil der unternehmerischen Verantwortung. Zu fragen ist: Durch welche Aktivitäten und an welcher Stelle der Lieferkette könnten Menschenrechte nachteilig beeinflusst werden? Wie wahrscheinlich sind die negativen Auswirkungen und wie schwerwiegend sind sie? Nur wenn ein Unternehmen die Risiken ermittelt hat und kennt, kann es nachteilige Auswirkungen vermeiden oder mildern.
Ist nicht der Staat der erste Adressat für den Schutz der Menschenrechte?
Ja. Der Staat muss die Menschenrechte achten, schützen und gewährleisten. Das heißt: Menschenrechte sind nicht nur Abwehrrechte gegen staatliche Willkür wie Folter oder Verschwindenlassen. Der Staat muss sich auch darum kümmern, dass Menschen nicht durch das Verhalten anderer – z.B. Unternehmen – zu Schaden kommen. Das ergibt sich aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Diese Übereinkommen der Vereinten Nationen, verbunden mit den Kernarbeitsnormen der ILO, sind der Rahmen für die Beurteilung von unternehmerischen Auswirkungen auf die Menschenrechte.
Was aber haben Unternehmen mit Menschenrechten zu tun? Weshalb sollte die Herstellung von T-Shirts, Kugelschreibern oder Smartphones anderen Menschen Schaden zufügen?
Es gibt eine große Spannbreite, wie sich unternehmerisches Handeln entlang der gesamten Lieferkette bei allen Produkten nachteilig auf in internationalen Übereinkommen niedergeschriebene Menschenrechte auswirken kann (vgl. Leitfaden "Menschenrechte achten – ein Leitfaden für Unternehmen"). Dazu zählen zum Beispiel das Verbot von Kinderarbeit, der Schutz vor Sklaverei und Zwangsarbeit, Freiheit von Diskriminierung, Schutz vor widerrechtlichem Landentzug, der Arbeitsschutz und damit zusammenhängende Gesundheitsgefahren, das Verbot des Vorenthaltens eines angemessenen Lohns, das Recht Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmervertretungen zu bilden sowie das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung oder Gewässerverunreinigung und Schutz vor Folter.
Nicht nur die großen und weltweit tätigen "Global Player", sondern auch kleine und mittlere Unternehmen schaffen Arbeitsplätze, kaufen international Waren, Vorprodukte und Dienstleistungen ein und nutzen lokale Ressourcen. Sie wirken so auf Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigte sowie auf andere mittelbar und unmittelbar Beteiligte und Betroffene ein: Kund*innen, Zulieferfirmen, Anwohner*innen, das wirtschaftliche und soziale Umfeld sowie die Umwelt. Das gilt sowohl im Bereich der eigenen Produktion als auch entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungsketten.
Dabei ist es wichtig, die potenziellen Auswirkungen des Unternehmenshandelns aus der Perspektive der Betroffenen zu verstehen: Es geht dann zum Beispiel nicht mehr allein darum, ob Grenzwerte für Wasserverschmutzung eingehalten werden, sondern darum, welchen Zugang Betroffene zu sauberem Trinkwasser überhaupt haben und ob sie so ihr Recht auf Wasser verwirklichen können. Welche Beschwerdemöglichkeiten haben sie, wenn der Zugang nicht mehr existiert und private Akteure dafür verantwortlich sind? Haben sie Zugang zu wirksamer Abhilfe?
Die internationale Staatengemeinschaft hat anerkannt, dass Unternehmen eine originäre Verantwortung haben, Menschenrechte zu achten. Sie hat dies ausdrücklich in den VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen verankert. Dies ist auch Richtschnur für das Handeln der Bundesregierung.