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hessnatur

Auch kleinere Unternehmen können Sorgfaltspflichten beachten

 

Ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) eine Zumutung für die deutsche Wirtschaft? Kritiker*innen beklagen einen unverhältnismäßigen Aufwand, insbesondere für kleinere Unternehmen*. Betriebe mit weniger als 1.000 Beschäftigten sind vom deutschen Gesetz nur indirekt betroffen. Der aktuelle Entwurf der EU-Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz bezieht jedoch auch Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten ein, wenn bestimmte Jahresumsätze erreicht werden und sie Teil einer Risikobranche sind, wie das etwa bei Textilherstellern wie hessnatur der Fall ist. Ansonsten soll das europäische Lieferkettengesetz erst ab 500 Mitarbeiter*innen und 150 Millionen Euro Jahresnettoumsatz greifen. Kristin Heckmann-Kipouros, Chief Sustainability Impact Officer bei hessnatur, erklärt, warum sie diese Ausweitung begrüßen würde – und auf welche Unterstützung kleinere Unternehmen zählen können.

Als Heinz und Dorothea Hess 1976 ihren Versandhandel für Naturtextilien gründeten, war von umweltbezogenen Sorgfaltspflichten noch nirgends die Rede. Sie hielten sie nach Unternehmensangaben trotzdem ein. Kleidung aus Naturfasern, ökologischer Anbau, Verzicht auf chemische Dünger und Pestizide – für dieses Versprechen stehe hessnatur bis heute.

Doch wie steht es um die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Lieferketten? Wurde auch darauf von Anfang an geachtet? Die Zeit, in der hessnatur gegründet wurde, war geprägt durch die Friedensbewegung. Der soziale Aspekt war also immer mit dabei, sagt Kristin Heckmann-Kipouros, Chief Sustainability Impact Officer bei hessnatur. Damals sei man das Thema allerdings noch nicht so systematisch angegangen wie heute. Die Art und Weise, wie wir daran arbeiten, mit einem eigenen Management, mit Monitoringsystem, Audits und so weiter – diese ganzen Strukturen haben sich natürlich erst über die Jahre entwickelt.

Kristin Heckmann-Kipouros, Chief Sustainability Impact Officer bei hessnatur

Heute halte sich der Textilhändler aus dem hessischen Butzbach nicht nur an ökologische, sondern auch an strenge Sozialstandards in seiner Beschaffungskette – obwohl er es laut deutschem Lieferkettengesetz gar nicht müsste. Denn das gilt ab Januar 2024 nur für Unternehmen ab einer Größe von 1.000 Mitarbeitenden. Kleineren Unternehmen, so sagen viele, sei es auch kaum möglich, ihren Sorgfaltspflichten in Lieferketten nachzukommen.

Heckmann-Kipouros widerspricht. Klar ist das möglich. Wir zeigen seit fast 50 Jahren, dass es möglich ist. Und wie? Besonders wichtig sei der enge Austausch mit allen Partnerunternehmen innerhalb der Lieferkette. Genauso der interne Austausch, etwa zwischen dem Einkaufsbereich und dem Nachhaltigkeitsteam. Zudem habe man bei hessnatur inzwischen klare Prozesse verankert. So müssten beispielsweise alle neuen Materialien sowie alle neuen Lieferanten durch ihre Abteilung freigegeben werden.

Wir zeigen seit fast 50 Jahren, dass es auch als kleineres Unternehmen möglich ist, seine Sorgfaltspflichten einzuhalten.

Die Zusammenarbeit mit Multi-Stakeholder-Organisationen ist ein entscheidender Faktor

Ein besonders wichtiger Faktor sei jedoch die Zusammenarbeit mit Multi-Stakeholder-Organisationen wie dem Global Organic Textile Standard und der Fair Wear Foundation (FWF). Vor allem letztere setzt sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der textilen Lieferkette ein. Als erste deutsche Marke ist hessnatur der FWF bereits im Jahr 2005 beigetreten.

Die Zusammenarbeit mit der Fair Wear Foundation ist für uns extrem wichtig, sagt Kristin Heckmann-Kipouros. Denn: Viele Missstände seien so systemisch, dass ein Unternehmen allein sie gar nicht beheben könne. „Hier braucht es die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure der Marken, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen.“

Nicht zuletzt helfe die FWF den Unternehmen ganz konkret dabei, der eigenen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Der große Vorteil ist, dass sie in vielen Ländern lokale Teams beschäftigen, erklärt die Nachhaltigkeitsmanagerin. Zwar habe auch sie eine Auditor*innen-Ausbildung durchlaufen und könne selbst Audits durchführen. Dabei stoße man in den Herkunftsländern jedoch an Grenzen. Erstens: Als Auftraggeber sind wir kein neutraler Beobachter. Zweitens gibt es immer eine sprachliche und drittens eine kulturelle Barriere. Die können Sie umgehen, wenn Sie mit den lokalen Teams der FWF zusammenarbeiten. Nicht nur die Zulieferer und Produktionsstandorte, auch das Unternehmen selbst wird regelmäßig durch die Fair Wear Foundation auditiert. Auf den „Leader Status“, den man bei diesen „Brand Performance Checks“ seit vielen Jahren in Folge erreicht, ist man in der Unternehmenszentrale sehr stolz.

Natürlich ist es ein Aufwand. Aber es ist machbar.

Über lange Zeit habe sich hessnatur in Sachen Nachhaltigkeit und Menschenrechte für freiwillige Lösungen eingesetzt. Doch mit der Zeit habe man einsehen müssen, dass dies nicht ausreiche. Die freiwilligen Initiativen in der Textilbranche haben längst nicht alle Marktteilnehmer erreicht. Sie konnten kein Level Playing Field etablieren. Daher habe sich das Unternehmen zuletzt für eine gesetzliche Regelung starkgemacht. Das LkSG sei ein wichtiger erster Schritt – gehe aber noch nicht weit genug, findet Heckmann-Kipouros. Die Beschränkung auf große Unternehmen bedeutet, dass viele Firmen in der Textilindustrie gar nicht betroffen sind. Da hätten wir uns natürlich gewünscht, dass es weiter greift. So wie es jetzt hoffentlich mit der europäischen Gesetzgebung kommt.

Aber ist die Sache wirklich so einfach? Wie reagiert Heckmann-Kipouros auf die Sorge vor hohen finanziellen und personellen Aufwänden? Kritiker*innen glauben, das Gesetz könne kleinere Unternehmen massiv in Bedrängnis bringen – vor allem solche, die eine weniger zahlungskräftige Kundschaft bedienen als hessnatur.

Natürlich ist es ein großer Aufwand. Auch für uns ist es ein Aufwand, ganz klar, sagt die Nachhaltigkeitsmanagerin. Aber es ist machbar. Unternehmen, die bisher nicht unter das LkSG fallen, rät sie, sich frühzeitig auf den Weg zu machen. Mit dem deutschen Lieferkettengesetz und den Vorschlägen, die in Brüssel auf dem Tisch liegen, habe man eine gute Orientierungsgrundlage. Die vielen Handreichungen des Bundesamts für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) seien auch sehr hilfreich.

Und das Gute ist doch: Kleinere Unternehmen haben nun die Möglichkeit, sich sukzessive und strukturiert darauf vorzubereiten. Man dürfe nur nicht den Fehler machen, diesen kritischen Zeitpunkt zu verpassen: Dann muss man von jetzt auf gleich den Hebel umlegen. Und dafür ist das Thema zu komplex.

Es geht darum, einen verpflichtenden Mindeststandard zu etablieren

Kristin Heckmann-Kipouros war Ende zwanzig, als sie sich nach eigener Aussage „die Sinnfrage“ stellte. Zu einer Zeit, als es noch kein Trending Topic war, spezialisierte sie sich auf das Thema Nachhaltigkeit und landete schließlich bei hessnatur. Bei allen Diskussionen rund um Aufwand und Machbarkeit des LkSG ist ihr eines wichtig zu betonen:

Wir reden hier ja nicht über irgendetwas, sondern über Menschenrechte! Das sind fundamentale Werte, die dürften nicht zur Diskussion stehen. Deshalb ist das Lieferkettengesetz so wichtig. Es geht darum, einen verpflichtenden Mindeststandard zu etablieren.

* Im Kontext dieses Beitrags meint die Begrifflichkeit ‚kleinere Unternehmen‘ solche, die mit weniger als 1.000 Beschäftigten nicht vom LkSG erfasst sind.

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