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"Viele Unternehmen sind bereit für mehr Nachhaltigkeit"

Im dritten Teil der Serie über unternehmerische Verantwortung in der Corona-Krise sprach das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim. Im Interview erklärt sie, wie Unternehmen trotz Pandemie ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen, warum CSR-Kommunikation grundsätzlich ein heikles Thema ist und was notwendig ist, um Geschäftsmodelle in Zukunft nachhaltiger zu gestalten.

Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Corporate Social Responsibility an der Universität Mannheim.

Die Corona-Krise stellt nicht nur unser Gesundheitssystem, sondern auch die Wirtschaft vor erhebliche Herausforderungen. Viele Menschen fürchten um ihren Arbeitsplatz. Bleibt in dieser angespannten Situation überhaupt Platz für Nachhaltigkeit?

Das ist im Moment eine sehr interessante Frage. Da wir als CSR-Lehrstuhl in Forschung und Lehre mit vielen Unternehmen zusammenarbeiten, haben wir einen engen Draht in die Praxis. Was wir derzeit aus den Betrieben hören, ist unterschiedlich. Die Unternehmen mussten sich natürlich erst einmal neu sortieren und auf die Situation einstellen. Am Anfang standen organisatorische Schwierigkeiten im Vordergrund. Da gab es oft Stillstand. In manchen Unternehmen wurden Abteilungen im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement sogar in Kurzarbeit geschickt. Viele sehen aber auch in der derzeitigen Situation eine Chance, ihre gesellschaftliche Verantwortung unter Beweis zu stellen.

Inwiefern? Haben Sie Beispiele?

Ja, gerne, ich nenne einmal zwei lokale Beispiele aus der Rhein-Neckar-Region. Ein großer Softwarekonzern hat sich schon vor längerer Zeit das Ziel gesetzt, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben. Auch jetzt in der Krise bietet das Unternehmen durch vielfältige Programme Unterstützung in Digitalisierungsfragen an. Dabei liegt der Fokus teilweise besonders auf den spezifischen Bedürfnissen, die durch Corona entstehen, wie zum Beispiel Bildungsgerechtigkeit und Homeschooling. Ein anderes Beispiel ist ein großer Chemiekonzern. Dort wurde die Produktion kurzfristig auf Desinfektionsmittel umgestellt; gleichzeitig spendet das Unternehmen Atemschutzmasken an die Landesregierung in Rheinland-Pfalz.

Darüber hinaus hat der Konzern einen Hilfsfond, der jetzt genutzt werden kann, um in dieser Krise zu unterstützen. Dabei wurde ein sehr partizipativer Prozess gewählt, der verschiedene Akteure involviert, zum Beispiel die Stadt Mannheim sowie die Metropolregion Rhein-Neckar. Auch wir als Universität gehören dazu. Gemeinsam mit diesem Chemiekonzern wird aktuell durch Teams unserer Studierenden ein System einer Maskenbörse und einer Ehrenamtsvermittlung geprüft, um die Tafeln und andere soziale Organisationen zu unterstützen. Das ist notwendig, weil viele Freiwillige zur Risikogruppe gehören und nun wegfallen. Auch sogenannte Food-Trucks sollen zweckentfremdet werden, um Obdachlose und ärmere Menschen in der Stadt mit Nahrungsmitteln zu versorgen.

Können Unternehmen, die bereits vor der Krise CSR-Strategien etabliert haben, nun von ihrem Engagement profitieren - und wenn ja, inwiefern?

Betriebe, die bereits über eine systematische CSR-Strategie und ein Engagement im Nachhaltigkeitsbereich verfügen, sind in einer solchen Situation klar im Vorteil. Sie müssen sich gar nicht erst überlegen: "Welche Rolle wollen wir da spielen?", sondern können sich sofort auf die neuen Bedürfnisse einstellen und ihre Strukturen anwenden, so wie ich es beispielsweise anhand des Beispiels des Softwarekonzerns berichtet habe. Eine Firma, die jetzt erst bei Null anfängt, kann damit nicht mithalten. Dort fehlt es nun an Strukturen und Ressourcen, um diese Art von Engagement leisten zu können.

Die breite Öffentlichkeit weiß wenig über die CSR-Aktivitäten der meisten Unternehmen. Steckt in der Corona-Krise auch eine kommunikative Chance für Unternehmen, das zu ändern?

Ja, aber auch Risiken. Generell muss man mit der CSR-Kommunikation in der Öffentlichkeit aufpassen. Es entsteht schnell der Verdacht des sogenannten 'Greenwashing'. Das ist dann der Fall, wenn Unternehmen mehr Aufwand betreiben, um über die angeblich gute Tat zu berichten, als tatsächlich etwas zu tun. Unternehmen, die diese Krise als kommunikative Chance nutzen möchten, müssen deswegen sehr vorsichtig sein: das Handeln und nicht das Kommunizieren sollte im Vordergrund stehen. Wenn man etwas Gutes tut, kann man normalerweise darauf vertrauen, dass es von Mitarbeitern und anderen Stakeholdern ohnehin gesehen und kommuniziert wird. Ich würde deswegen den Unternehmen raten, die derzeitige Krise als Chance zu begreifen, sich positiv einzubringen, aber ohne den kommunikativen Aspekt in den Vordergrund zu stellen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Geschäftsmodelle?

Wir befinden uns gerade in einer ganz spannenden Phase, denn wir stehen jetzt vor der großen Frage: Wie gestalten wir den schrittweisen Neustart unserer Wirtschaft, der ja bereits begonnen hat? Was müssen wir tun, damit wir nicht zum Status Quo von vor der Krise zurückkehren? Wie können wir bestehende Nachhaltigkeitsziele weiter berücksichtigen oder beim Wiederaufbau, etwa durch gezielte Förderprogramme noch stärker in den Fokus rücken? Zum Beispiel hatte die Europäische Kommission im Bereich der Kreislaufwirtschaft im März gerade einen erneuerten Maßnahmenplan vorgelegt, bevor die Corona-Krise viele Systeme erst einmal stillgelegt hat. Jetzt böte sich die Chance, Programme in der Phase des Wiederaufbaus an solche Ziele der Kreislaufwirtschaft zu knüpfen und damit Unternehmen zu belohnen, die beabsichtigen, ihre Wertschöpfung nachhaltiger zu gestalten.

Ich glaube, dass viele Unternehmen inzwischen grundsätzlich dazu bereit sind, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und sie in Richtung Nachhaltigkeit neu zu definieren. Auch die jüngsten Entwicklungen um den Petersberger Klimadialog stimmen positiv: Dort haben mehr als sechzig Unternehmen Druck auf die Politik ausgeübt, um zu erreichen, dass der wirtschaftliche Wiederaufbau nach der Corona-Krise die Klimaziele stärker berücksichtigt. Und natürlich müssen wir nach der Krise auch andere bestehende Nachhaltigkeitsziele, die in den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen sehr gut zusammengefasst sind, weiter im Blick behalten. Eine grundsätzliche Bereitschaft in den Unternehmen ist aber häufig nicht ausreichend. Die Veränderung der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung muss auch durch die Politik mit passenden Instrumenten unterstützt und geleitet werden. Entscheidend bleibt also weiterhin der gesellschaftliche und vor allem politische Wille, damit es zu einer nachhaltigen Transformation der Wirtschaft kommen kann.

Viele Menschen überdenken momentan ihren Konsum. Werden die Menschen in Zukunft nachhaltiger einkaufen?

Da bin ich nicht ganz so optimistisch. Ich habe das Gefühl, dass Menschen häufig sehr schnell vergessen. Zweifellos befinden wir uns gerade in einer Zeit, in der man eigene Verhaltens- und Konsummuster reflektiert. Gerade die bereits seit vielen Jahren diskutierten Ideen der Postwachstumsökonomen wie zum Beispiel Niko Paech haben aktuell eine große Relevanz. Wie viel und was brauchen wir wirklich? Wie sehen neue Modelle des Wirtschaftens und Konsumierens aus, die nicht auf der Vorstellung unbegrenzten Wachstums und unendlicher Ressourcenverfügbarkeit aufbauen? Es wäre sehr zu hoffen, dass die aktuelle Krise einen solchen Diskurs befeuert. Um wirklich nachhaltige Konsummuster anzuregen, wäre aber ein längerfristiger und gesamtgesellschaftlicher Reflexionsprozess, auch auf medialer Ebene, notwendig. Ich bin dabei skeptisch, ob das der menschlichen Natur entspricht. Stattdessen könnte es nach der Krise ebenso zu einem sogenannten ‚Rebound-Effekt‘ kommen, also einer Überkompensation in der Bevölkerung. In diesem Falle hätten die Menschen das Bedürfnis, ihre "Versäumnisse" nachzuholen.

Die Corona-Krise offenbart auch die Verwundbarkeit einer weit verzweigten globalisierten Wirtschaft. Manche fordern nun eine Rückkehr zu einer regionaleren Produktion. Ist das realistisch?

Die derzeitige Krise macht die Schwachstellen einer globalisierten Wirtschaft sichtbar, keine Frage. Man kann genau sehen, wo es zu Ressourcenknappheit kommt und wo Lieferketten zusammenbrechen. Und natürlich ist es gerade jetzt elementar, widerstandsfähige Systeme aufzubauen und die Versorgung mit essenziellen Gütern zu sichern. Dabei ist ein gewisser Grad an lokaler Produktion sicher richtig. Dennoch darf man jetzt nicht in ein Schwarz-Weiß-Denken verfallen. Natürlich müssen wir zu einem gewissen Grade am System der internationalen Arbeitsteilung festhalten; eine ausschließlich lokale Produktion wäre ökonomisch schlichtweg nicht sinnvoll. Dazu kommt der globale Gerechtigkeitsaspekt: Wenn wir auf einmal alle Handelsbeziehungen mit anderen Ländern kappen, beeinträchtigt diese Entscheidung die Entwicklung ganzer Regionen. Das ist sozial nicht verantwortlich. Lieferketten spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklungszusammenarbeit. Eine zielführende Lösung für die Zukunft wäre deswegen eher ein Portfolio-Ansatz zur Risikostreuung – also eine notwendige Anpassung zwischen nationaler, regionaler und internationaler Produktion - um eine Grundversorgung in unserem System auch in Krisenzeiten zu gewährleisten.

Können denn Unternehmen, die in Entwicklungs-und Schwellenländern produzieren, ihrer Sorgfaltspflicht trotz der Pandemie gerecht werden? Warum müssen Unternehmen gerade jetzt Verantwortung übernehmen?

Weil es jetzt ganz besonders darum geht, bestehende Austauschbeziehungen zu beleuchten und zu überlegen, was fair ist und wo gegebenenfalls eine stabilere oder sozial verantwortlichere Situation geschaffen werden muss. Das ist ein Prozess, der bereits mit dem Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung vor einigen Jahren begonnen wurde. Es wurde versucht, ein Verständnis über internationale Handelsbeziehungen und die Verantwortlichkeit von Unternehmen zu schaffen. Wir dürfen nicht vergessen: In Deutschland sind wir relativ gesehen in einer Luxussituation. Viele Teile der Welt mit anderen politischen und sozialen Systemen trifft die Krise weitaus dramatischer. Wenn wir uns das klar machen, wird deutlich, dass wir eine Verantwortung haben, bestehende Handelsbeziehungen nicht abzubrechen, sondern im Gegenteil an einem engen Austausch festhalten sollten.

Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen: Wo sehen Sie die Nachhaltigkeitsdebatte in zehn Jahren?

Dafür würde ich gerne zuerst einen Blick zehn Jahre in die Vergangenheit werfen. Damals habe ich gerade meine Promotion im Bereich der experimentellen Ökonomik an der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossen. Nach einem längeren Auslandsaufenthalt in Südostasien, bei dem ich viele der negativen Auswirkungen unserer globalen Lieferketten wie Umweltverschmutzung oder inakzeptable Arbeitsbedingungen mit eigenen Augen beobachten konnte, entschied ich mich, meine wissenschaftliche Arbeit auf das Thema Unternehmensverantwortung zu fokussieren. Zu dem Zeitpunkt wurde ich dafür noch von vielen belächelt. Das sei ein ‚Mädchenthema’ hieß es und ich würde damit schlechte Chancen auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt haben. Das hat sich inzwischen geändert. Unternehmen sind sich mittlerweile des gesellschaftlichen Drucks bewusst, das Thema Nachhaltigkeit proaktiv und strategisch anzugehen. Wir sind aber immer noch nicht an einem Punkt angekommen, an dem die Folgen unserer Nachhaltigkeitsprobleme - zumindest in unserer westlichen Welt - schmerzhaft genug sind, um uns zum großflächigen Handeln zu bewegen. In vielen Fällen ist Nachhaltigkeit noch ein Thema, was als zusätzliches Betätigungsfeld angesehen wird, anstatt die Geschäftsmodelle im Kern zu überdenken. Es wird meiner Ansicht nach aber nur noch wenige Jahre dauern, bis diese Folgen der Nachhaltigkeitsprobleme so sichtbar sein werden, dass eine Verdrängung einfach nicht mehr möglich ist.

Können Sie das konkretisieren?

Ja, ich denke da vor allem an den Klimawandel. Da werden wir die Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung schon bald so deutlich zu spüren bekommen, dass es kein ‚business as usual‘ mehr geben kann. In zehn Jahren könnte sich für uns eher die Frage stellen, wie wir das Rennen gegen die Zeit überhaupt noch gewinnen können. Gleichzeitig dürfen diese ökologischen Herausforderungen nicht losgelöst von den sozialen Systemen betrachtet werden. Die Corona-Krise hat nicht nur Schwachstellen in Lieferketten, sondern teils auch himmelschreiende Ungerechtigkeiten in Arbeitsmärkten in den Fokus gerückt, wie zum Beispiel bei den osteuropäischen Arbeitern in der Fleischindustrie. Die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich und die sozialen Ungerechtigkeiten in unseren Märkten und politischen Systemen spalten unsere Gesellschaften und schwächen den Zusammenhalt zwischen den Menschen. Aber gerade diesen Zusammenhalt und eine Basis des Vertrauens braucht es, wenn wir die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, auch in Zukunft gemeinsam meistern wollen.

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