Lieferkettengesetz

adidas AG

Unternehmen können in ihren Lieferketten Positives bewirken

 

Kann das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen entlang der globalen Beschaffungsketten verbessern? Kritiker*innen sagen: Nein. Deutsche Unternehmen allein könnten keinen positiven Einfluss nehmen. Im Gegenteil führe das Gesetz zu Entlassungen und Armut vor Ort, weil Unternehmen vor den Anforderungen kapitulierten und aus Risikogebieten abzögen. Ein Gespräch mit Frank Henke, Senior Vice President Sustainability Policy & Engagement bei adidas, zeigt: Die Wirklichkeit ist komplizierter.

Als großes Markenunternehmen sind wir in der Öffentlichkeit sichtbar und stehen oftmals unter Beobachtung, und das ist auch grundsätzlich in Ordnung, sagt Frank Henke. Dass es nicht immer so war, weiß der 59-jährige Manager aus eigener Erfahrung. 1991 stieg er bei adidas ein. Der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach hatte bereits in den Siebzigerjahren damit begonnen, einen Großteil seiner Produktion ins Ausland zu verlagern. Lange Zeit interessierte das niemanden. Als jedoch Mitte der Neunziger eine Welle der Globalisierungskritik losbrach, musste sich das Unternehmen mit einem Mal kritischen Fragen stellen.

Bei adidas nahm man das Thema von Anfang an ernst. Uns war klar: Darauf müssen wir konzeptionell antworten, erzählt Frank Henke, der damals den Auftrag bekam, ein globales Programm zur Überwachung der Beschaffungskette aufzubauen. Mit einigem Erfolg. Heute gilt adidas als ein Vorreiter bei der Entwicklung und Durchsetzung arbeitsrechtlicher und ökologischer Standards. Regelmäßige Risikoanalysen, die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, Präventions- und Abhilfemaßnahmen: Schon vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2023 setzte das Unternehmen nach eigenen Angaben alle zentralen Elemente des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes um.

Mit dem Vorwurf, Unternehmen hätten keinen positiven Einfluss auf die Arbeits- und Lebensbedingungen entlang ihrer Lieferketten, kann der adidas-Manager nichts anfangen.

Wir setzen uns seit mehr als 20 Jahren mit unseren Sorgfaltspflichten auseinander. Mit den Maßnahmen, die wir getroffen haben, haben wir definitiv die Situation in vielen Beschaffungsländern verbessert.

Als Beispiele für positive Veränderungen nennt Frank Henke die Bereiche Baumwolle, Leder und Naturkautschuk. Diese Materialien spielen bei der Herstellung von Textilien und Schuhen eine große Rolle – als Agrarprodukte bergen sie aber auch ein hohes Risiko, denn die Landwirtschaft gehört zu den Sektoren, in denen es weltweit häufig zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann. Entsprechend intensiv arbeite sein Team daran, insbesondere in diesen Bereichen Präventionsmaßnahmen durchzuführen und neue Standards zu schaffen, erklärt Henke.

So verarbeite adidas seit 2018 zu 100 Prozent Baumwolle von Farmer*innen, die nach den Better-Cotton-Kriterien arbeiten. Als Gründungsmitglied der Leather Working Group habe man klare Umweltstandards in der vorgelagerten Gerbeindustrie eingeführt. Und auch beim Naturkautschuk achte man auf eine nachhaltige Bewirtschaftung der Farmen.

Risikobasierter Ansatz des LkSG entlastet Unternehmen

In diesen drei Bereichen versuchen wir hohe Transparenz in der Beschaffungskette zu erzielen. Das geht über die erste und zweite Stufe unserer Zulieferer hinaus, sagt Henke. Und betont zugleich, dass sich ein solches Engagement nicht auf alle Materialien und Geschäftsbereiche übertragen lasse.

Aufgrund der enormen Größe und Komplexität unserer Wertschöpfungskette können wir die Menschenrechtsauswirkungen aller Geschäftseinheiten, die mit unseren Produkten oder Geschäftstätigkeiten in Verbindung stehen, nicht fortlaufend bewerten. Deshalb haben wir ein Due-Diligence-Konzept entwickelt, das sich an jene Standorte, Prozesse oder Aktivitäten mit hohem Risiko richtet, denen die größte Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.

So steht es auf der adidas-Website. Frank Henke fasst es kürzer:

Ohne den risikobasierten Ansatz bräuchten wir gar nicht weiterreden. Er ist unverzichtbar, um sich auf die wirklich wesentlichen Themen zu konzentrieren.

Den risikobasierten Ansatz des deutschen Lieferkettengesetzes begrüßt der adidas-Manager deshalb ausdrücklich. Doch gerade weil Unternehmen bei der Überwachung ihrer Lieferketten an Grenzen stoßen, unterstreicht Henke einen weiteren zentralen Baustein des LkSG: Die Einrichtung eines funktionierenden Beschwerdemechanismus halte ich für das wichtigste Element des ganzen Gesetzes. Wenn man das richtig macht, dann ist schon viel gewonnen.

adidas verfügt seit 2014 über ein spezielles unabhängiges Beschwerdeverfahren für menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken. Diesem habe als Vorbild das Beschwerdeverfahren für Dritte zugrunde gelegen, das erstmals vom Londoner Organisationskomitee für die Olympischen Sommerspiele 2012 entwickelt wurde.

Daneben unterhält das Unternehmen weitere Beschwerdehotlines, eine für die direkten Angestellten und eine für die Beschäftigten bei den direkten Zulieferbetrieben.

Dieses appbasierte – für die jeweilige Produktionsstätte passgenaue – Beschwerdetool mit dem Namen "Workers Voice" hat sich in den vergangenen Jahren als sehr wirkungsvoll erwiesen. Im Jahr 2022 hatten über 400.000 Beschäftigte der Zulieferbetriebe über die App einen direkten Zugang zu ihren Arbeitgebern als auch zu adidas. Und nutzten ihn. So seien über das Jahr hinweg mehr als 48.000 Anliegen von Beschäftigten der Zulieferbetriebe eingegangen, berichtet Henke. Für den Nachhaltigkeitsexperten ein positives Signal: Wir sehen, dass die Beschäftigten Vertrauen in die Wirksamkeit dieser Kanäle haben. Alle Anliegen würden individuell geprüft und zu 99 Prozent vollständig gelöst.

Gehen oder bleiben? Keine leichte Entscheidung

Ein solches vor allem in großen Konzernen praktikables Vorgehen ist mit erheblichem finanziellen und organisatorischen Aufwand verbunden. Die Möglichkeiten, Forderungen durchzusetzen, hängen dabei stets vom Einkaufsvolumen bei dem jeweiligen Lieferanten ab. Natürlich haben Sie mehr Einfluss, wenn Sie die Kapazitäten eines Produzenten stark auslasten, so Henke.

Wie also wird sich das Lieferkettengesetz auswirken? Werden deutsche Unternehmen, die in Risikoländern aktiv sind, zunehmend auf die Durchsetzung menschenrechtlicher Standards pochen? Oder werden sie sich aus diesen Ländern zurückziehen, weil sie den Aufwand scheuen und negative Konsequenzen fürchten?

Mal abwarten, meint Frank Henke. Grundsätzlich könne er die Sorge anderer Unternehmen verstehen. Wer keine starke Präsenz in seinen Beschaffungsländern habe, dem falle es schwer, die dortigen Risiken neutral und sachlich korrekt einzuschätzen – geschweige denn Probleme zu lösen. Und selbst wenn alle relevanten Informationen vorliegen, schütze einen das nicht vor schwierigen Entscheidungen. Das macht Frank Henke am Beispiel Myanmar deutlich.

Nach dem demokratischen Frühling in dem südostasiatischen Land prüfte adidas drei Jahre lang intensiv die Situation vor Ort – und erlaubte schließlich einem seiner Partner, Produktionsstätten in Myanmar aufzubauen. Seitdem hat sich die Lage dramatisch verändert, ein Militärputsch im Jahr 2021 unterbrach die zehn Jahr zuvor begonnene Demokratisierung des Landes. Unter den jetzigen Voraussetzungen wäre die Entscheidung, in Myanmar zu investieren, wesentlich schwieriger. Wir beobachten die Situation sehr genau und stehen mit den betroffenen Beschäftigten im direkten Kontakt. Was sagen die? Sie haben natürlich riesige Angst, dass wir aus dem Land rausgehen könnten.

Multi-Stakeholder-Organisationen erhöhen die Hebelkraft

Wer sich mit Frank Henke unterhält, dem wird eines klar. Bei der Wahrnehmung ihrer menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten gibt es für Unternehmen nur selten die Wahl zwischen einer richtigen und einer falschen Option, schwarz und weiß. Stattdessen: Viele Grautöne.

Für den adidas-Manager jedoch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Stattdessen rät er, möglichst viele Köpfe zusammenzustecken. Ob BetterWork, die Fair Labor Association (FLA) oder die Fair Wear Foundation (FWF) für die Textilindustrie: Eine Zusammenarbeit mit Multi-Stakeholder-Organisationen helfe nicht nur dabei, die Hebelkraft zu erhöhen, sondern auch, verschiedene Perspektiven und Erwartungshaltungen zu konsolidieren.

Eine Zusammenarbeit, die nicht immer einfach ist, auch das weiß Henke aus eigener Erfahrung. Wir haben viel aus Stakeholder-Konsultationen gelernt. Ohne diesen teils unbequemen Prozess hätten wir viele Elemente nicht in unser Programm übernommen. Unbequem, aber effektiv, davon ist Frank Henke überzeugt:

Die Verbesserung von Arbeits- und Umweltbedingungen lässt sich nur durch gute Kollaboration voranbringen. Dazu gehören auch die Regierungen. Wenn man sich zusammenschließt, kann man einiges erreichen.

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